Ein Romanauszug
Keuchend und wankend nach all den Stockwerken, kamen sie bei Paul an Schon am Eingang roch Paul beißenden Rauch Da kam die Erinnerung der Leichtfertigkeit vom Vormittag, das Atelier bei offenem Feuer zu verlassen Wäre das nicht gut Ein Neubeginn Es wäre reizvoll, alles niedergebrannt, was zählte es, er hatte nichts, es war ihm nichts
Wie gewohnt war es drinnen kaum wärmer als auf der Straße, aber rußiger als sonst Im Kamin war das Feuer merkwürdig erloschen, das Holz nicht abgebrannt Die Scheite großen Scheite lagen noch da, angekohlt aber ganz War es feucht Getreuer blieb ehrfurchtsvoll vor den großen, unfertigen Leinwänden stehen, die Paul achtlos irgendwohin gelehnt hatte, wo sie seine Schritte und Blicke nicht stören würden Als dringe durch ihn, spieße ihn auf was er da sah, erstarrte Getreuer Wunderschön, murmelte er, zu mehr war er nicht fähig Der rasche Trab im Treppenhaus, die unerwartete Kälte hier - er wurde blaß und zitterte
Paul machte neues Feuer Es brannte nur klein, und wenn auch Getreuer über die Flammen glücklich war, wohlig alle Körperseiten zuhielt und dabei ständig auf die Bilder starrte, verwunderte sich Paul, wie die Flammen mehr kämpften als zu greifen und zu steigen Qualm drang in den Raum, stach in den Augen, brannte im Atem Paul streckte sich in den Kamin und fand eine Kette Der Abzug hatte sich geschlossen und verklemmt Er rüttelte an der Kette, bis sie ruckhaft nachgab, ein singender Sog schlürfte die Luft und riß endlich hohe Flammen Befreit loderte das Feuer und fraß am Holz
Lange standen sie davor und starrten in die Hitze Pauls Wunde fing zu schmerzen an, er zog die Hose aus Erst als er in Unterhosen dastand, bemerkte er, wie frei er gegenüber diesem neuen Menschen handelte Nicht, daß er sich daran gestört hätte, sah jemand die seit Jahren nicht heilende offene Wunde am Bein, man gewöhnt sich Er hielt es aber
trotz ihrer gemeinsamen Trunkenheit für verächtlich, sie herzuzeigen, zur Schau zu tragen Und doch schien es ihm auch natürliche Offenheit Es reizte ihn, in halber Blöße vor einem immer noch Fremden zu stehen Die Unerhörtheit, die er seinem Handeln vorzuwerfen hatte, neben dem Trotz, daß es doch gefiel Er schlug vor, eine Flasche Wein zu öffnen Getreuer nahm natürlich an, irgendwann aber müsse er gehen, am nächsten Tag wolle er früher ins Institut Paul zog einen schweren Teppich zum Kamin, und im Wechsel zwischen Kauern und Liegen tranken sie kalten Rotwein
Sie waren sehr betrunken und der Ruß drückte sie, Getreuers Kopf sank immer wieder mit einem Nicken in kurzen Schlaf Ständig bemühte er sich durchzuhalten, um den Augenblick zu weiten, im Wälzen und Rücken zog sich sein Hemd aus dem Hosenbund, die bleichweiße, rundliche Leibesmitte schimmerte als mahlbares Detail hervor, und er schlief ein Etwas durchfuhr nun Paul, dieses kleine Stück, dieser Strich griff in einer Verbundenheit zu ihm, vereinte sie beide in offener Nacktheit Er holte Papier und skizzierte langsam den Schlafenden vor dem Feuer, auf dem Teppich neben umgestoßenem Glas und diesem Streifen Fleisch, das heller zu ihm schien als die Flammen Immer wieder legte Paul Holz nach, die Hitze brannte, aber Getreuer sollte nicht frieren und weiterschlafen Ein lautes Puffen in der Glut ließ Getreuer auffahren Er raffte sich noch einmal hoch, aber er schaffte es nicht mehr zu gehen Verlegen bat er, ob er hier schlafen dürfe Natürlich - nur gäbe es bloß eine große Matratze im kleinen Raum, auf der auch Paul schlief Getreuer trottete dort hin, im Gehen konnte er sich noch bis auf die Unterwäsche entkleiden, dann wickelte er sich in eine Decke und legte sich, zitternd vor der neuerlichen Kälte im ungeheizten Raum Paul beobachtete ihn länger, liegend vom Teppich aus starrte er in die Dunkelheit auf verschwindende Schließlich wurde ihm der Boden hart, und er ertrug nicht mehr die Hitze Er ging hinüber und legte sich auf die Matratze Frisch und kühl war es ihm hier und kaum verraucht Jetzt erst sah er, daß Getreuer mit offenen Augen dalag Er war zu betrunken, um sie zu schließen, sein Atem ging gepreßt, dann schlug er die Decke vom Oberkörper Paul stütze leise den Kopf auf und betrachtete ihn im Licht der Nacht Der dickliche und doch zarte Körper, vor allem aber diese blasse, straffe Haut erschreckten Paul in ihrer Unschuld und Reinheit Er war auf diesen Anblick festgefahren, lange hielt er still und zwang sich zu wachen, bis der Andere die Augen schloß Endlich strich er sanft über dessen wehrlose Seite, die zarte Gänsehaut, während draußen die herabglosenden Scheite knisterten Das wäre es, die große Serie Zwölf Portraits dieses Jüngeren, seiner Haut, und eines mehr, für sich Es war unsinnig und zu spät, wo er doch eben erst an daran gescheitert war, an Abbildungen von Menschen, es übereinkommend verworfen hatte War es denn fehlgeschlagen Wie gerne hätte Paul die nüchterne Kraft für dieses wohl nur in der Trunkenheit so große Projekt gehabt, wie gerne seine gesamte Kraft gefüllt in etwas, das ihm auch am nächsten Morgen noch bedeutend wäre In diesen Gedanken mochte seine Hand, die noch auf Getreuer lag, sich verkrampft und zu forsch gegriffen haben, Getreuer ächzte Paul zog zurück und schlief ein
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