Der Kater schnurrt, streckt und räkelt sich, während Paul ihn hinter den Ohren krault, seine Hand dann über Nacken und Rücken wandern lässt. Ich stehe daneben, die Hände voll mit Einkäufen, und warte. Willst du auch mal? Heute nicht, sage ich. Da ist ein Vorwurf in meiner Stimme; die Zeit rennt immerhin davon. Paul lässt von dem Tier ab und kramt in seiner Hosentasche nach den Schlüsseln. Er hebt seine mit Einkäufen gefüllte Papiertüte vom regennassen Boden auf. Sie ist ganz durchgeweicht, an einigen Stellen rissig. Hätte er doch nur, denke ich, und Paul rollt mit den Augen, dabei habe ich gar nichts gesagt.
Die Einkäufe sind verstaut. Paul lehnt in in der Küchentür, beobachtet mich beim Aufräumen, fragt, ob ich nicht lieber meinen Koffer packen möchte, morgen früh sei kaum noch Zeit. Ich vertreibe ihn aus dem Raum. Den Küchenschrank wollte ich schon lange gründlich säubern, den Backofen, die ganze Wohnung. Das kann nicht mehr warten. Ich tue es nicht wegen ihr.
Es klingelt und ich schiebe noch schnell eine von Pauls Figuren in eine Schublade. Damit ist alles perfekt.
Liz sieht sich um, als ich sie vom Flur in die Küche führe. Hier sieht es echt gut aus! Ich winke ab, tue so, als wäre alles wie immer. Im Schlafzimmer türmt sich, für was ich keine Zeit mehr hatte. Wäsche, Geschirr und Dinge, die eigentlich Abfall sind. Die Tür bleibt fest verschlossen.
Ich hatte Liz und Ed zusammen eingeladen. Früher haben wir öfter etwas zu viert unternommen. Am Telefon hatte ich Liz gefragt, ob die beiden zum Essen kommen wollen. Ed hat etwas vor. Das sagte sie sofort. Es wurde einen Moment lang still in der Leitung. Aber wir können gerne zu zweit etwas machen, vielleicht backen? Also verabredeten wir uns zum Backen zu zweit.
Paul kommt in die Küche, um Liz zu begrüßen. Ich wünschte, er hätte sich für heute eine andere Beschäftigung gesucht. Dann wäre er nicht hier und ich hätte Liz gesagt, dass Paul nicht da ist, weil er etwas zu tun hat. So wie Ed. Paul bleibt nur kurz, lässt uns gleich wieder allein. Ich frage sie, was in dem Beutel ist, den sie mitgebracht hat. Sie räumt den Inhalt auf den Tisch, Backzutaten. Ich lebe jetzt vegan, sagt sie.
Ich denke an die Rezepte für Cupcakes, die ich herausgesucht und ausgedruckt habe, an die Unmengen von Eiern im Kühlschrank, an die Butterklötze und Frischkäsepackungen. Wenn Paul und ich aus dem Urlaub zurück kommen, werden sie schlecht sein.
Oh, sage ich, das hattest du gar nicht erwähnt.
Liz setzt an, wie leid ihr das tue, redet von ihrem Gewissen und Dokus, die sie auf Youtube gesehen hat und mir gerne auch schickt. Meine Gedanken sind noch bei der Butter, die eine dicke gelbe Haut bekommen wird, bis ich wieder zu Hause bin.
Liz packt ihre Rezepte auf den Küchentisch, wir machen jetzt, was sie sagt. Ich wiege ab, reiche ihr, was sie braucht. Sie mischt zusammen. Dabei erzählt sie mir von ihrer Arbeit. Von den verschiedenen Projekten, an denen sie beteiligt ist, ihr Chef habe sie sogar mit der Leitung eines von ihnen betraut. Das Projekt sei ihre Idee gewesen, erklärt sie stolz. Sie hilft Menschen, die es nicht so gut haben, das ist ihre Arbeit. Ich finde es toll, dass sie so etwas macht, wirklich. Dann fragt sie, wie es bei mir läuft.
Gut, sage ich. Es läuft wirklich gut. Auf der Arbeit habe ich einiges geschafft, große Dinge, in letzter Zeit. Ich fange an, ihr davon zu erzählen, will ihr einen Sinn dafür vermitteln, wie erfolgreich ich bin. Wie anspruchsvoll das ist, was ich mache. Sie lächelt zwar, aber da ist nichts, keine Reaktion. Es kommt bei ihr nicht an. Auf einmal ist es mir peinlich. Meine Erklärungsversuche werden immer schlichter, aber es ist aussichtslos. Ich rette niemanden.
Wir füllen ein Muffinblech mit Papierförmchen und Teig und schieben es in den Backofen. Dann gehen wir ins Wohnzimmer, zu Paul. Ich setze mich neben ihn auf die Couch, Liz schwingt sich auf den massiven Schreibtisch und formt die Beine zu einem Schneidersitz. Vorhin lagen dort noch Bücher, Hefte und ein paar von Pauls Figuren, die ich auf den Turm im Schlafzimmer geworfen habe. Der Platz neben mir ist frei.
Paul fragt etwas. Liz wirft die Haare zurück. Es laufe super, tolle Leute, Kooperationen, Nachhaltigkeit. Ich schalte ab. Stattdessen beobachte ich Paul, er lauscht wie hypnotisiert. Ein dümmliches Lächeln ist ihm aufs Gesicht gemalt, er nickt nach jedem Satz. Ich schäme mich. Liz wollte gar nichts mit ihm zu tun haben, nicht einmal Ed mit hierher bringen. Aber jetzt sitzt sie auf unserem Schreibtisch und hält Reden, und er saugt alles auf. Sie ist es gewohnt, dass Leute ihr zuhören, es interessiert sie nicht, ob es Paul ist oder sonstwer, mit dem sie sich niemals abgeben würde. Am liebsten würde ich ihn schütteln, und Liz auch.
Die Zeit ist um, Liz und ich gehen zurück in die Küche. Da ist diese Stille und mir fällt nichts mehr ein. Würde sie sich doch einfach auflösen.
Bevor sie die Backofentür öffnet, hält Liz inne. Weißt du, ich habe das Gefühl, dir geht es nicht sehr gut.
Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Lächle, winke ab.
Im Ernst, bist du glücklich? Du siehst nicht gut aus.
Ich will ihr sagen, wie falsch sie liegt, wie gut alles läuft. Dass es in mir drin genauso geordnet aussieht wie in der Wohnung. Ich bekomme kein Wort heraus. Ob sie heimlich ins Schlafzimmer gesehen hat, vorhin, als ich nicht aufgepasst habe? Ihr Mund bewegt sich weiter, sie kommt auf mich zu, streckt ihre Arme aus. Ich will nur noch, dass sie aufhört. Warum ist sie noch hier?
Ich lege meine Hand auf ihre Wange. Sie lächelt mich an, denkt wohl, dass sie zu mir durchgedrungen ist. Dann packe ich sie an den Haaren und führe ihren Kopf zum Backofen. Sie ist so perplex, sie lässt es einfach geschehen. Als ich die Backofentür öffne, protestiert sie, und als das heiße Blech ihre reine Haut verbrennt, kreischt und windet sie sich.
Ich liege schon mit ihr auf dem Boden, meine Hände um ihren Hals geschlungen, als Paul ins Zimmer stürmt. Liz’ Gesicht ist rot und aufgequollen. Sie strampelt mit Armen und Beinen, schlägt um sich, kratzt mich am Hals. Paul versucht, meinen Griff zu lockern, aber es gelingt ihm nicht. Ich drücke noch fester zu.
Ich bin unvermeidbar.
Es ist jetzt ganz ruhig, ich lächle. Genieße das Gefühl von Genugtuung, den Geruch nach verbranntem Haar. Ich richte mich auf, klopfe Dreck und Mehl von meiner Kleidung und drehe mich zu Paul, der auf den Boden gesunken ist, sein Gesicht leichenblass. Es ist etwas Neues darin hinzugekommen, etwas Interessantes. Es ist in Ordnung, sage ich. Lass uns packen.
Im Flur steht das Reisegepäck, bereit für morgen früh. Ich liege im Bett und starre auf die leuchtenden Ziffern unseres Weckers. Es scheint immer länger zu dauern, bis sie weiterspringen. Ich richte mich auf, befürchte, dass die Nacht sonst unendlich wird. In der Küche löse ich die unfertigen Cupcakes von dem Blech, nackte braune Klumpen. Ich nehme einen in die Hand und beiße hinein. Er schmeckt scheußlich. Ich zwinge mich, zu kauen und dann zu schlucken, unterdrücke einen Würgereiz. Als ich mit dem ersten fertig bin, nehme ich den zweiten in die Hand. Insgesamt sind es zwölf Stück.
Paul spricht nicht mit mir. Ich glaube, er schläft nicht. Tagsüber wandern wir schweigend durch die Straßen und am Meer entlang. Er denkt vielleicht, das sei eine Strafe für mich.
Manchmal schweifen meine Gedanken zu Liz, zu ihrem Körper. Er liegt nun in einem Müllcontainer einige Straßen von unserer Wohnung entfernt. Gemeinsam haben wir ihn dorthin geschafft. An meinem Hals sind die Spuren von unserem Kampf sichtbar, ich streife mit den Fingerspitzen darüber und denke an die Hautpartikel unter Liz’ Nägeln. Es muss grotesk aussehen, Paul und ich, immerzu schweigend, dazu die Verletzungen an meinem Hals.
Ich achte darauf, nicht an das Danach zu denken, niemals den Fernseher anzustellen oder mein Smartphone. Ich werde immer zurückdenken an die heißen Pflastersteine, an den Sand zwischen meinen Zehen und an Pauls sonnengebräuntes Gesicht. An mein Idyll.
Der Kater streunt durch den Vorgarten, alles ist ruhig, absurd friedlich. Unsere Wohnung ist unverändert, das schmutzige Muffinblech steht noch in der Spüle. Man kann die Haare fast noch riechen. Keine Absperrbänder und keine Polizeibeamten, so, wie ich es mir während der Heimreise ausgemalt hatte.
Ich stelle alles an. Den Fernseher, den Laptop, mein Telefon. Niemand hat versucht, mich zu erreichen. Es ist nichts in den Nachrichten. Paul und ich räumen unser Gepäck aus. Bei jedem Geräusch horche ich auf, erwarte, umstellt zu werden.
Es klingelt. Ich richte meine Kleidung, schreite langsam zur Tür, nehme ein Paket für die Nachbarin entgegen.
Auf der Arbeit könnte es kaum besser laufen. Ich fühle mich, als würde ich schweben, meine Aufgaben fallen mir leicht und ich kann nicht mit dem ständigen Lächeln aufhören. Am Ende eines Arbeitstages gehe ich nie direkt nach Hause, so wie früher meistens. Stattdessen schlendere ich durch die Straßen, durch Geschäfte und Parks. Sorgfältig umgehe ich den Ort, an dem wir sie zurückgelassen haben. Es wäre unklug, zurückzukehren. Vielleicht wartet dort schon jemand. Dabei würde ich so gerne nachsehen. Ich sehne mich danach. Träume davon, den Container zu öffnen und hineinzulugen. Herauszufinden, ob sie noch dort ist. Jede Nacht. Ich glaube, Paul schläft immer noch nicht.
Ich warte auf Ed. Ich will ihn nur kurz sehen, einen Blick erhaschen, so wie auf das Innere des Containers. Ich sollte nicht hier sein, vor Eds Wohnung, das weiß ich. Man kann schwer etwas erkennen durch die Fenster im zweiten Stock. Ich bilde mir Bewegungen ein, erwarte ihn, sobald sich die Haustür öffnet. Doch er ist es nie. Was er wohl gerade macht, an was er wohl denkt?
Vorsichtig taste ich mich in unserem Vorgarten voran. Es ist finster, die Beleuchtung geht nicht an. Auf halbem Weg zum Eingang halte ich inne, ein paar Schritte vor mir ein dunkler Umriss. Der Schatten streckt sich, ich kann seine Augen sehen, die das Licht der Straße reflektieren. Ich mache ein paar Geräusche zur Begrüßung, der Kater antwortet mit einem Miauen, leise und gedämpft. Ich streichle ihm über den Rücken, dann über sein Gesicht, da spüre ich –
Ich ziehe meine Hand weg, etwas fällt zu Boden. Ein kleiner Schatten zuckt und schiebt sich mühsam über den Weg. Meine Hände fühlen sich klebrig an. Ich murmele eine Entschuldigung und setze meinen Weg zur Wohnung fort. Hinter mir höre ich es rascheln.
Paul ist nicht mehr da. Es fehlen ein Paar Schuhe, auch eine seiner kindischen Figuren. Auf dem Küchentisch liegt das gespülte Muffinblech, komplett sauber geschrubbt und von allen verkohlten Teigresten befreit. Ich stelle es in den Schrank, zwischen die anderen Küchenutensilien. Dann wische ich mit einem Lappen über den Tisch. Ich entsorge alles, das Paul gehört, und danach alles, was ich nicht mehr haben möchte. Ich schnüre Tüte um Tüte, werfe sie auf einen Haufen im Vorgarten. Dann, als nichts mehr übrig ist, als in der Wohnung nur noch all jene Sachen sind, mit denen ich mich umgeben möchte, werfe ich mich auf das gemachte Bett und komme endlich zur Ruhe.
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