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Das müssen wir aufschneiden

VON LUKAS SCHAUB //


Der Eiter quillt aus meiner Haut, sammelt sich darunter, fließt hinaus und vermischt sich mit Blut. Ein pochender Schmerz, ein feuchtes Gefühl im Nacken, ein beißender Gestank. Ein Duft, den ich nicht riechen will, aber der mich dennoch nicht loslässt. Ich versuche den Eiter raus zu quetschen, will ihn nicht mehr unter meiner Haut tragen, will nicht mehr, dass er ein Teil von mir ist. Doch er kommt zurück, wieder und wieder. Ich verstecke ihn unter Pflastern, drücke ihn heraus, schmiere ihn mit einer Salbe ein und er kommt immer wieder. Ich gehe zur Ärztin, er kommt zurück, ich gehe nochmal, er kommt wieder. Der Eiter und der Schmerz sind gute Freunde. Ich fasse an die Stelle, hab das klebrige Sekret an meiner Hand, spüre es im Nacken, sehe es an den Fingern. Mein Körper fasziniert mich, gleichermaßen widert er mich an. Ich hoffe auf Heilung, doch sie kommt nicht. Alles was kommt ist ein wiederkehrender Prozess der Verschlimmbesserung. Eine Achterbahn des Ausquetschens und Ansammelns, die meinen Körper von meinem Geist löst. Der dumpfer Schmerz wird mit Tabletten betäubt, die klebrige Haut von Pflastern verdeckt. Die Schwäche zieht durch mich hindurch. Sie dringt in meinen Kopf. Ich will mich hinlegen. Schweigend leiden. Kurz auf Pause drücken. Einen kleinen Powernap machen, in der Hoffnung es ist nur ein Traum. Nur ein wirrer Gedanke, der mit dem Aufwachen verfliegt. Ich liege da und starre auf die Decke. Raufasertapete. Darunter kalter Putz. Darunter ein Gerüst aus Holz. Die Tapete an der Decke ist alt, hat schon viel mitgemacht. An manchen stellen ist sie rissig. Und zwischen der Lampe und der Stelle, wo eigentlich ein Rauchmelder hängen sollte, sehe ich einen Streifen Tesa-Krepp. Ich hatte ihn ganz vergessen. Ich wusste, dass er da war, aber hatte ihn ganz vergessen. Ich wollte ihn mal abreißen, aber darunter war die Tapete kaputt. Darunter kam der Putz zum Vorschein. Also habe ich ihn wieder dran geklebt, da oben an die Decke. Ich hab die Verletzung kaschiert und dann komplett vergessen. Wie meine Wunde. Wie diese eitrige Stelle an meiner Haut, die langsam und kontinuierlich in mein Pflaster tropft, um auf meiner Haut ein Feuchtbiotop zu bilden. Die durch mein Pflaster tropft und meine Kleider und Kissen beschmiert. Die immer noch da ist, unverändert im ständigen Wandel. Mal schlechter, mal besser, aber immer da. Ich gehe wieder in eine Praxis, diesmal in eine Andere. Der Arzt macht kurzen Prozess. Er fängt an zu schneiden. Kurz vor Feierabend. Ob er das wohl heute Abend am Esstisch erzählen wird: “Heute kurz vor Feierabend, da ist noch was spannendes passiert. Da hab ich noch so ein riesiges triefendes Eiterding behandelt. Das hab ich noch weggeschnitten. Hätte nicht gedacht, dass ich heute noch so eine OP vor mir habe.”

Die Haut ist offen, der Schmerz ist betäubt, die Wunde vereist. Ich Atme in den Schmerz, den meine Phantasie erzeugt. Im Innenohr höre ich ein Schaben. Einfach weiter atmen. Sie reden mit dir, antworte schnell und dann weiter atmen. Der Arzt hält mir einen Tupfer auf die Wunde. Ist es vorbei?

“Natürlich habe ich das schon oft gemacht, aber dieses Eiterding war ein besonderes Exemplar. Die Haut war fest angeschwollen. Alles Eiter darunter, der durch zwei kleine Löcher in der Haut raus getropft ist. Ein Abszess wird das genannt. Und dann musste ich die Haut aufschneiden. Ein glatter Schnitt.”

Ich realisiere noch nicht, dass die OP vorbei ist. Ich hab ja noch nicht einmal richtig realisiert, dass sie angefangen hat. Die Wunde bleibt offen, sie wird dick verbunden. Rohes Fleisch, darauf Gase, eine Kompresse und ein dicker Verband. Ist das viel Blut unter mir. Mit so viel Blut habe ich nicht gerechnet. “Man hat das geblutet. War eine gesunde Farbe, viele rote Blutkörperchen. Und dann musste ich den Übeltäter da raus holen. Es war eine Talgdrüse. Schon komisch der Gedanke, dass das dicke Ding mal eine Talgdrüse war, aber das war sie. Verstopft und dick angeschwollen. Die haben wir natürlich ins Labor geschickt. Und dann haben wir die Wunde wieder zu gemacht. Auf die offene Wunde kam Gase, Kompressen und ein dicker Verband.”

Ob er das wohl wirklich so erzählten wird? Am Esstisch? Mit wem wird er da wohl sitzen? Einer Partnerin, einem Partner, einer Familie? Solle er die Geschichte seinen potentiellen Kindern erzählen, dann härtet sie das sicher ab. Die lässt dann nichts mehr kalt. Also entweder das, oder sie sind danach leicht verstört. Aber vielleicht erzählt er die Geschichte ja auch auf dem Sofa, oder direkt nachdem er zu Hause ankommt. Erzählen wird er sie, dass seh ich in seinen Augen. Dieser Eingriff fasziniert ihn viel zu sehr, um nicht davon zu erzählen. Ich werde ihn wieder sehen. Die Faszination wird dann nicht mehr dieselbe sein. Es wird noch Wochen dauern, bis die Wunde verheilt ist. Bis dahin gibt es regelmäßige Verbandswechsel. Bis dahin verdecken Gase, eine Kompresse und ein Pflaster mein rohes Fleisch. Bald lassen sie die Gase weg, dann werden die Pflaster kleiner. Und irgendwann ist an dieser Stelle wieder Haut gewachsen. Die Wunde wird wieder verschlossen sein, die Haut wird weiter heilen. Sich regenerieren, wieder und wieder. Zunächst wird die Stelle noch zu erkennen sein. Sie wird eine andere Farbe tragen, als meine restliche Haut. Ich hab das schon mal gesehen, an meinem Knie. Dann wird die Haut sich regenerieren, wieder und wieder. Und mit der Zeit wird die Stelle verblassen. Mit der Zeit wird sie kaum noch zu sehen sein. Mit der Zeit werde ich mich kaum noch an sie Erinnern.


2 Kommentare

2 comentários


Alex
Alex
06 de fev. de 2021

mag auch sehr wie flott das gedacht und erzählt ist, gefällt mir

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Pierre
Pierre
03 de fev. de 2021

Der Ekel schüttelt hier und da gehörig, aber deine Erzählung hat so einen herrlich flotten Rhythmus, da bleibt zum Kotzen gar keine Zeit.

Curtir
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